Aus der Sicht der Aligner-Orthodontie, ihren Anwendern und Patienten wird zu dem Gesetzesvorhaben nachstehend Stellung genommen. Dabei steht im Mittelpunkt der Betrachtung, dass es sich bei der Aligner-Orthodontie um ein „neues“ Verfahren i.S.d. § 6 Abs. 2 GOZ handelt, das in der Bundesrepublik Deutschland erst ab 2001, d.h. nach dem Inkrafttreten der gültigen GOZ am 22.10.1987, zur Anwendungsreife gelangte und spätestens seit 2006 als Schulmedizin anerkannt ist. Es gilt als eines der am besten dokumentierten zahnmedizinischen Verfahren, mit dem alleine bis dato ca. 1,5 Millionen Patienten behandelt worden sind. Dieses Verfahren wird in dem Referenten-Entwurfes gegenüber der herkömmlichen Multibandbehandlung („Brackets“) nur unzureichend und unklar erfasst. Eine Abänderung des Referenten-E erscheint deshalb dringend notwendig.

Festzuhalten ist zunächst, dass die GOZ in der derzeit geltenden Fassung Vorschriften zur Abrechnung der Aligner-Orthodontie nicht enthält. Der vorgelegte Referenten-E sieht hinsichtlich des zahnärztlichen Honorars im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung nur eine einzige textliche Einfügung nach GOZ 6080 a.E. vor mit folgendem Wortlaut:

„Die Maßnahmen im Sinne der Nummern 6030 bis 6080 umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden (z.B. Einbringung, Aktivierung und / oder Entfernung von Loops, Bögen, Attachments bei Alignernoder festsitzender Retainer) oder den verwendeten Therapiegeräten (z.B. auch Kunststoffschienen).“

Ansonsten handelt es sich bei den vorgesehenen Änderungen und Ergänzungen des Abschnitts G. um redaktionelle Änderungen oder um Klarstellungen zu der Abrechnung der Material- und Laborkosten einer kieferorthopädischen Behandlung.

I. Neuregelung oder Erläuterung des Bestehenden

Es bleibt daher – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Begründung des Referenten-E– unklar, ob der Gesetzgeber durch die Einfügung der Textpassage nach Pos. 6080 a.E. regelnd tätig werden will oder nur klarstellend. Für letzteres spricht die Formulierung in der Begründung des Referentenentwurfes, dass der (bekannte) Leistungsinhalt der Nummern 6030 bis 6080 „näher beschrieben“ werde, der Gesetzgeber also lediglich die bestehenden Regelungen erläutert, ohne den Regelungsgehalt selbst abändern zu wollen. Hierfür spricht auch, dass der Gesetzgeber in dem Anschnitt G. davon absieht, die Leistungspositionen selbst textlich abzuändern, zu ergänzen oder neue Leistungsziffern einzufügen. Solche Abänderungen der GOZ-Leistungspositionen betreffen in dem Referenten-E den Bereich der prophylaktischen, der konservierenden und implantologischen Leistungen, während im Bereich der kieferorthopädischen Leistungen eine Regelungsintention lediglich hinsichtlich der Vereinbarung von Mehrkosten erkennbar wird. Ferner enthält auch die einzige weitere textliche Einfügung nach 6160 (zu den im Honorar inkludierten Material- und Laborkosten) einen lediglich klarstellenden Inhalt ohne Regelungsgehalt.

Die Kostenträger werden dazu neigen, die fragliche Formulierung des Referenten-Entwurfes als Regelung zu verstehen, die es rechtfertigt, die Einbringung von Attachments für Aligner in analoger Anwendung der Pos. 6100 künftig nicht mehr zu erstatten. Die analoge Abrechnung der Anbringung von Attachments entsprechend der Eingliederung eines Klebebrackets gem. Pos. 610 GOZ ist derzeit gängige Praxis, die durch die sachverständig beratene, ständige Rechtsprechung bestätigt wurde. Diese Abrechnungspraxis würde künftig seitens der Kostenträger beanstandet werden. Da die Verwendung von Kunststoff-Attachments bei praktisch jeder Behandlung mit Alignerschienen notwendig ist und eine eigene besondere Leistung darstellt, würde so ein erheblicher Teil der Aufwendungen im Rahmen einer Aligner-Therapie künftig einer Abrechenbarkeit schlichtweg entzogen werden.

Es erscheint fraglich, ob die Verfasser des Referenten-Entwurfes, die den Leistungsinhalt der bestehenden Leistungspositionen lediglich beschreiben wollten, sich des Effektes bewusst waren, dass Kostenträger die fragliche Formulierung als Abrechnungssperre für wesentliche Behandlungsmerkmale nicht nur der neuen Aligner-Therapie für sich in Anspruch nehmen könnten. Ausgehend von der Begründung des Referenten-Entwurfes liegt die Annahme näher, dass eine regelnde Wirkung im Sinne einer Abrechnungssperre für das neu entwickelte Aligner-Verfahren gar nicht beabsichtigt war und dem Verordnungsgeber die möglicherweise regelende Wirkung seiner Erläuterungen verborgen geblieben ist. Insofern wäre eine Streichung der Worte „Attachments bei Alignern“ im Entwurf erforderlich. Dies sollte im Übrigen für alle weiteren hier angeführten Aufzählungen (Einbringung, Aktivierung und / oder Entfernung von Loops, Bögen oder festsitzender Retainer) gelten, die in gleicher Form zum Mißverständnis beitragen.

II. unzureichende Regelung der Aligner-Orthodontie

Der Referenten-Entwurf setzt den in der Koalitionsvereinbarung enthaltenen Auftrag nicht um, die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) an den Stand der Wissenschaft anzupassen und dabei Kostenentwicklungen zu berücksichtigen.“ Diese als politisches Postulat formulierte Zielvorgabe ergibt sich auch unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 6 GOZ, wonach neu entwickelte und praktizierte Behandlungsansätze durch eine entsprechende Anwendung der bestehenden GOZ-Leistungspositionen abzurechnen sind. Zugleich ist der Gesetzgeber damit gehalten, bei Gesetzesnovellierungen die Abrechnungsbestimmungen dem wissenschaftlichen und zahnmedizinischen Fortschritt anzupassen (so wie dies beispielsweise durch die Einführung der Pos. 900 erfolgt war, nachdem sich die zahnärztliche Implantologie als Bestandteil der Schulmedizin emanzipiert hatte).

Alleine durch die einmalige Erwähnung des Aligner-Behandlungsgerätes in einer beispielhaften Aufzählung, noch dazu in einem Klammerzusatz und außerhalb einer konkreten Abrechnungsposition, ist nicht davon auszugehen, dass der Behandlungsansatz als solcher durch den Gesetzgeber überhaupt erfasst und aufgenommen worden ist. Im Hinblick auf die künftige Abrechnung der Aligner-Orthodontie schafft der Referenten-Entwurf stattdessen die Unklarheit, ob die bisherige analoge Abrechnung fort gilt oder gar, ob die unterbliebene Berücksichtigung dieses Behandlungsansatzes in einer eigenständigen Leistungsposition dafür spricht, dass diese kieferorthopädischen Maßnahmen künftig (mangels ausdrücklicher Regelung) weder direkt noch analog abrechenbar sind.

III. kein Regelungsbedürfnis für die erfolgte bruchstückhafte Regelung

Für die Einfügung nach Pos. 6080 a.E. bestand kein Regelungsbedürfnis. In seiner Begründung führt der Referenten-Entwurf aus, dass die Einfügung erfolge, „um in der Anwendungspraxis aufgetretene Unklarheiten zu vermeiden“. Derartige Unklarheiten mögen bei der Abrechnung der anderen angesprochenen Behandlungsansätze aufgetreten sein. Für die Abrechnung einer Aligner-Behandlung ist spätestens seit 2006 geklärt, dass es sich um ein etabliertes, neues Verfahren handelt, das in analoger Anwendung der GOZ abzurechnen ist. Auf dieser Grundlage verfestigte sich eine Abrechnungspraxis, die durch die Rechtsprechung in ihren Konturen präzisiert wurde. Die in der Begründung zum Referenten-Entwurf angesprochenen Unklarheiten betreffen somit nicht die Aligner-Orthodontie.

Auch die in dem Koalitionsvertrag angesprochenen Kostengesichtspunkte erfordern nicht die genannte Einfügung: Die kieferorthopädische Therapie mit Alignern löst regelmäßig keine höheren Kosten aus, als eine Behandlung mit herkömmlichen Brackets. Es ist hervorzuheben, dass dies selbst dann gilt, wenn die Einbringung der Attachments –wie derzeit üblich– analog Pos. 610 GOZ abgerechnet wird. So wurden diese Behandlungskosten der Alignerbehandlung bei Minderjährigen von der Rechtsprechung als notwendig und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen im Sinne von § 6 Abs. 1 der BundesbeihifenVO angesehen. Letztlich erfüllt damit das Alignerverfahren auch unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten die Leistungsvoraus-setzungen der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 5 SGB V.

IV. Unerwünschte Regelungseffekte

Schließlich sind Regelungseffekte zu erwarten, die von den Zielsetzungen des Referenten-Entwurfes nicht getragen werden, sondern ihnen zuwiderlaufen:

Die Umsetzung des Entwurfes würde dazu führen, dass das innovative Aligner-Verfahren unter Abrechnungsgesichtspunkten schlechter gestellt sein würde als die herkömmliche Multibandbehandlung („Brackets“). Zur Abklärung der wirtschaftlichen Angemessenheit des Aligner-Verfahrens wurden seitens der Beihilfestellen und der Verwaltungsgerichte Kostenvergleiche beider Behandlungsansätze angestellt, die im Ergebnis belegen, dass ein Kostenunterschied zwischen beiden Verfahren nicht besteht, dies unter der bislang gültigen Prämisse, dass das Kleben der Brackets bzw. der Attachments in beiden Kostenvarianten über GOZ 610 abrechenbar ist. Wenn diese Abrechnung den Anwendern des Alignerverfahrens künftig verschlossen sein würde, hätte der Gesetzgeber Honoraranreize zu Lasten des innovativen Verfahrens gesetzt. Dies wäre mit seiner Intention, innovative Methoden in das Abrechnungssystem adäquat zu integrieren, nicht vereinbar.

Ferner würde das Regelungsziel des Entwurfes, Doppelabrechnungen durch die Hervorhebung des Zielleistungsprinzips zu verhindern, verfehlt. Wie der Kostenvergleich gerade belegt, führte die Emanzipation des innovativen Aligner-Verfahrens im Markt zu einer Kostenangleichung an das herkömmliche Multiband-Verfahren. Soweit das Aligner-Verfahren betroffen ist, sind unerwünschte Doppelabrechnungen weder bekannt geworden noch zu befürchten, so dass auch dieses Regelungsziel die fragliche Einfügung nicht zu rechtfertigen vermag. Es erscheint im Gegenteil sogar systemwidrig, dass der Gesetzgeber durch die nachträgliche Gestaltung der Leistungspositionen auf den Methodenwettbewerb Einfluss nimmt.

V. Abänderungsvorschlag

Aus der Sicht der Aligner-Orthodontie, ihrer Anwender und Patienten ist der vorgelegte Referenten-Entwurf ein bruchstückhafter, missverständlicher Regelungstorso. Am meisten Klarheit würde geschaffen, wenn die Aligner-Orthodontie überhaupt nicht angesprochen würde (durch die Streichung der Worte „Attachments bei Alignern“) und es so bei der bisherigen und gesicherten Rechtslage verbliebe.

Des Weiteren wird die Streichung der allgemeinen Bestimmung vor Pos. 6000 GOZ zu den abgegoltenen Standardmaterialen angeregt. Eine derartige Mehrkostenregelung ist im Recht der Privatliquidation ein Systembruch und fördert weder die Transparenz der Abrechnung noch bewirkt sie einen erhöhten Verbraucherschutz. Vor allem werden Kostenträger künftig die Erstattung auf die jeweils günstigsten Materialen begrenzen wollen, was dem Grundsatz nicht Rechnung trägt, dass der privat versicherte Patient, sich auch dann frei zwischen mehreren Therapieoptionen entscheiden können soll, wenn eine Kostendifferenz besteht.

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